Dr. Gre­gor Gy­si im In­ter­view: Über die di­gi­ta­le Ent­wick­lung, Hass­re­den im In­ter­net und Ver­ant­wor­tung für neue Tech­no­lo­gi­en

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Am 28.06.19 besuchte Dr. Gregor Gysi, Linken-Politiker und Rechtsanwalt,  die Universität Paderborn, um bei der Absolventenfeier der Fakultät Elektrotechnik, Informatik und Mathematik die Festrede zu halten (die Bildergalerie zur Veranstaltung findet sich hier). Unter dem Titel „Digitale Revolution – wie Politik aus Risiken Chancen machen kann“ hielt er eine Rede über die rasante digitale Entwicklung und die daraus resultierenden gesellschaftlichen wie politischen Konsequenzen. Im Interview vertieft er seine Gedanken dazu nochmals und spricht in diesem Zuge über gesellschaftliche Verantwortung, Hassreden im Internet und Risiken der Digitalisierung.

Verändert die rasante digitale Entwicklung die gesellschaftliche Grundlage, auf der Politiker agieren?
Ja, wir sind Zeuge, Handelnde und Betroffene einer neuen technischen Revolution, die mit der Digitalisierung die Produktivkräfte ähnlich durcheinanderwirbelt, wie das einst die Dampfmaschine und die auf ihr fußende industrielle Revolution getan haben. Die Digitalisierung hat gravierende Konsequenzen, etwa was die Verteilung der Arbeit betrifft oder den bisherigen Arbeitseinkommensbezug der Sozialsysteme oder auch für unser Steuersystem. Wenn zum Beispiel Erwerbsarbeit zunehmend durch Roboter ersetzt wird, muss es einen Sozialbeitrag im Umfang der frei gesetzten menschlichen Arbeit geben. Voraussetzung dafür, dass Digitalisierung zum Nutzen der Menschen eingesetzt wird, ist also, dass dabei nicht nur der Kapitalverwertungslogik gefolgt wird, sondern diese Logik durch gesetzliche Regelungen zumindest einen Rahmen bekommt, der entsprechende gesellschaftliche Effekte nach sich zieht. Die Lohnnebenkosten werden irgendwann durch eine Wertschöpfungsabgabe ersetzt.

Was ist gegen Hassreden und Rechte Hetze im Internet zu tun?
Sofern es strafrechtlich relevant ist, muss dies schneller als bisher ermittelt und zur Anklage gebracht werden. Die Unkultur, dass man im Internet praktisch straflos herumpöbeln kann, müssen wir beenden. Mindestens genauso wichtig ist aber auch, die sozialen Medien nicht den rechten Hetzern zu überlassen, sondern dagegenzuhalten. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch, falsche oder missbräuchlich interpretierte Informationen zu entlarven und notfalls auch gelöscht zu bekommen. Hierbei sehe ich die großen Player gefordert, strafrechtlich Relevantes sollte den staatlichen Behörden überlassen werden. Natürlich gibt es dabei immer die Gefahr einer Zensur. Deshalb müsste der Rechtsweg eröffnet werden.

Braucht digitale Kommunikation Regeln?
Letztlich die gleichen wie jede andere Kommunikation. Die Persönlichkeitsrechte müssen gewahrt werden, Lügen und Halbwahrheiten müssen wirksam widerlegt werden können. Man sollte Verantwortung übernehmen, für das, was man äußert. Vielleicht hilft dabei auch etwas ganz altmodisch Scheinendes, nämlich Anstand und Respekt. Gerade weil in der digitalen Kommunikation die Verbreitung von Inhalten praktisch für jedermann möglich ist und zugleich auch die Informationsverbreitung schneller und weitgehender als bei jeder anderen Kommunikationsform ist, sollten wir uns das bewusst machen. Ich fände es hilfreich, wenn dies auch zur Schulbildung gehörte.

Welche Verantwortung obliegt der Gesellschaft hinsichtlich neuer Technologien?
Wie eingangs dargestellt, muss die Gesellschaft Regeln und Rahmen setzen, damit die digitalen Technologien nicht nur die Gewinnkonten großer Konzerne füllen, sondern das Potential für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft genutzt wird. Wenn weniger menschliche Arbeit benötigt wird, kann das zu einer neuen Massenarbeitslosigkeit führen oder zu kürzeren Arbeitszeiten ohne Einkommenseinbußen und entsprechend größeren Möglichkeiten, das Mehr an freier Zeit für sich selbst und die Gesellschaft zu nutzen. Zudem stehen die Fragen von Weiterbildung und Umschulung insbesondere in Richtung von Dienstleistungen am Menschen und eben die Gewährleistung der sozialen Sicherungssysteme. Die Vereinzelung der Menschen muss verhindert werden. Wenn dies nicht gelingt, wie es im Moment leider den Anschein hat, und Digitalisierung lediglich die neoliberale Globalisierung im Interesse einiger weniger weltumspannender Großkonzerne beschleunigt, wird sich die soziale Spaltung in Deutschland, Europa und der Welt vertiefen mit allen dramatischen Folgen, die dies nach sich ziehen wird.

Wo sehen Sie, auf gesellschaftlicher und politischer Ebene, die Risiken der Digitalisierung?
Zur politischen Ebene habe ich schon skizziert, worum es geht. Gesellschaftlich will ich jetzt keine Horrorszenarien aus SciFi-Filmen malen, in denen die Künstliche Intelligenz die Herrschaft über den Menschen erlangt. Aber es ist eben doch faszinierend, wieviel Möglichkeiten man der Künstlichen Intelligenz gibt, Prozesse zu kontrollieren und zu managen. Um mal einen Vergleich zu wagen: Atomenergie hat auch deshalb keine Zukunft in der Stromgewinnung, weil ein GAU nicht beherrschbare Folgen hat. Diese Frage stellt sich letztlich beim Einsatz Künstlicher Intelligenz auch. Eine Antwort gibt es noch nicht. Und der gläserne Mensch darf nicht zugelassen werden. Privates muss privat bleiben.

(Foto: Max Hoffmann) Dr. Gregor Gysi unternahm eine Gedankenreise ins Jahr 2029 und fabulierte vom technischen Fortschritt, mahnte aber auch aktuelle politische und gesellschaftliche Probleme an.
(Foto: Max Hoffmann) Geschäftsführer Dr. Markus Holt, Festredner Dr. Gregor Gysi, Dekan Prof. Dr. Reinhard Keil und Prof. Dr. Johannes Blömer, Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs.