Wie studiert man Mathematik an der Uni?
Welchen Eindruck Sie aus dem Schulunterricht von Mathematik mitbringen, liegt zum Großteil an dem Niveau Ihres Mathematik-Leistungskurses oder Mathematik-Grundkurses. Die meisten von Ihnen werden hoffentlich aus der Schule den Eindruck mitbringen,
- dass es bei Mathematik darum geht, spannende Probleme (quantitativer Natur) zu lösen,
- dass Mathematik interessante und herausfordernde Themen behandelt,
- dass Mathematik eine klare und logische Argumentation erfordert und
- dass Mathematik als "Sprache der Naturwissenschaften" inzwischen in vielen Bereichen des täglichen Lebens eine fundamentale (wenn auch oft versteckte) Rolle spielt.
Die Mathematik, die einem im Schulunterricht begegnet, ist zu einem Großteil nicht mit der Mathematik vergleichbar, wie man sie in einem Universitätsstudium kennenlernt!
Im Bachelorstudiengang Mathematik oder Technomathematik geht es darum, mathematische Inhalte zu verstehen und herzuleiten oder zu beweisen!
Hochschulmathematik, also Mathematik an der Universität, ist offensichtlich schwieriger und anspruchsvoller als Mathematik in der Schule! Gleichzeitig ist Hochschulmathematik aber auch eine viel interessantere und erfüllendere Herausforderung! Ein Problem der Hochschulmathematik, z.B. eine Übungsaufgabe, erfolgreich gelöst zu haben, ist ungeheuer befriedigend. Das gelöste Problem sieht danach meist auch ganz einfach aus, weil man es nun verstanden hat. Der Weg dahin ist aber manchmal mühselig und schwer.
Vorlesungen: (1. Jahr: normalerweise je 4 h pro Woche pro Vorlesung)
- Mathematische Inhalte werden an der Tafel erklärt und bewiesen.
- Die neuen mathematischen Inhalte werden an Beispielen erläutert.
- Es gibt wöchentliche Übungsaufgaben, bei deren Bearbeitung man die neuen mathematischen Inhalte selber übt und vertieft (Deteils siehe unter "Übungsgruppen/Tutorien in Kleingruppen").
- Es ist normal, dass man nicht alles sofort versteht!
- Am Semesterende: Klausur oder mündliche Prüfung.
Übungsgruppen/Tutorien in Kleingruppen (max. 35 Studenten): (1. Jahr: normalerweise je 2 h pro Woche pro Vorlesung)
- Hier wird der Umgang mit den neuen mathematischen Inhalten geübt!
- Präsenzübungen werden in der Übung bearbeitet.
- Hausübungen werden eigenständig im Selbststudium bearbeitet. Dies kann in Gruppenarbeit geschehen.
- Die Lösungen zu den Hausübungen werden jede Woche eingereicht und korrigiert. So bekommt man Feedback zu den eingereichten Lösungen. Eventuell kann eine Mindestpunktzahl für die Hausübungen als Voraussetzung für die Prüfungszulassung (Klausur oder mündliche Prüfung) erforderlich sein.
- Häufig gibt es noch eine Hörsaalübung, in der die Hausübungen nach Rückgabe der korrigierten Lösungen an der Tafel vorgerechnet werden.
Selbststudium: Hier wird das in der Vorlesung eingeführte Material mit Hilfe der Hausübungen systematisch nachgearbeitet.
Wichtig ist zu beachten, dass das Selbststudium, die Übungszettel und die Übungsgruppen/Tutorien alle dazu dienen, bei dem Verstehen des in der Vorlesung eingeführten Materials zu unterstützen! Dieses Material wird durch das Selbststudium, die Übungszettel und die Übungsgruppen/Tutorien nicht erweitert. Auch daran kann man sehen, dass es nicht einfach ist, die neuen mathematischen Inhalte zu verstehen. Dies erfordert Ausdauer, Durchhaltevermögen und Beharrlichkeit.
Generel erschließt sich Mathematik über die Beispiele, denn erst durch diese bekommen abstrakte Definitionen und Sätze Inhalt! Dies ist nicht so zu verstehen, dass die abstrakten Definitionen und Sätze unwichtig sind. Ganz im Gegenteil sind diese die Kernaussagen der Mathematik, aber ein Verständnis dieser abstrakten Definitionen und Sätze lässt sich in der Regel nur erwerben, indem man diese im Zusammenhang mit konkreten Beispielen studiert.
Betrachten wir zunächst ein Beispiel aus der Analysis 1, welches Themen betrifft, die Sie bereits aus dem Schulunterricht kennen: Wenn Sie in der Schule Ableitungen behandelt haben, dann haben Sie vermutlich die Kettenregel gelernt und können diese anwenden. Sie werden die Kettenregel auch in der Vorlesung "Analysis 1" wiedertreffen. Dort wird die Kettenregel aber hergeleitet und bewiesen. Um zum Beweis der Kettenregel zu kommen, muss man aber vorher die Ableitung sauber eingeführt haben. Letzteres setzt wieder den Begriff des Grenzwertes voraus, und um diesen wiederum einzuführen, müssen Sie zunächst lernen, was konvergente Folgen sind. Folgen reeller Zahlen und die mathematische Definition der Konvergenz solcher Folgen werden aber nur die wenigsten von Ihnen in der Schule richtig besprochen haben. In der Tat sind Konvergenz und der Begriff des Grenzwertes auch einige der schwierigsten Begriffe der Vorlesung Analysis 1. Sie sehen hieran, dass Mathematik schichtenweise aufeinander aufbaut.
Natürlich lernen Sie im Mathematikstudium auch viele neue Themen kennen, die Ihnen noch nie in der Schule begegnet sind: Beispielsweise besprechen Sie in Analysis 1 Reihen und deren Konvergenz sowie Potenzreihen, und in Analysis 2 lernen Sie die Grundbegriffe der Topologie und Funktionen mit mehreren Variablen (z.B. anschaulich eine Funktion, die von Zeit und Ort abhängt) und deren Eigenschaften (z.B. Stetigkeit und Differentiation) kennen. Der Stoff in Analysis 2 und der darauf aufbauenden Reellen Analysis und Funktionentheorie ist aus der Oberstufe in der Regel komplett unbekannt. Inwieweit Sie einige Themen der Linearen Algebra 1 und 2 in der Schule kennengelernt haben, hängt stark von Ihrem individuellen Mathematik-Leistungskurs oder -Grundkurs und den Vorgaben Ihres Bundeslandes ab. Die Themen in weiterführenden Spezialvorlesungen sind aus dem Schulunterricht natürlich völlig unbekannt.